Foto: Ulrike Groß
„Freude ist wie ein Stein, der ins Wasser geworfen wird und immer größere Kreise zieht.“
Wenn ich am ersten Adventssonntag meine Kerze anzünde, erinnert sie mich an ein ganz besonderes Erlebnis. Es ist schon eine Weile her, doch die Erinnerung an diese Begegnung ist noch ganz lebendig in mir.
Ich bin mal wieder unterwegs, in einer mir fremden Stadt. Am Marktplatz ist eine Kirche. Mir ist nach einer Unterbrechung … nach einer Zeit der Ruhe und der Stille. Ich betrete die Kirche und entdecke vorne am Seitenaltar eine Schale mit brennenden Kerzen. Warm und heimelig, dieser Kerzenschein in der halbdunklen Kirche. Voller Freude gehe ich nach vorne, zünde einige Kerzen an für die Menschen, die mir wichtig sind, die ich im Herzen bei mir habe und setze mich in eine Bank.
Als ich so, ganz in meinen Gedanken versunken, in der Bank sitze, höre ich, dass die schwere Kirchentür aufgeht, wieder geschlossen wird und jemand nach vorne kommt. Ich hebe den Kopf. Es ist eine Frau. Sie geht in den Altarraum. Offensichtlich ist es die Küsterin, sie kramt in ihrer Tasche, holt einen Schlüssel heraus und sperrt an der Seite eine Tür auf. Sie verschwindet dahinter, kommt kurze Zeit später mit einer Hand voller Opferkerzen heraus und legt sie neben die Schale mit den brennenden Kerzen. Sie leert noch die kleine Kasse und verschwindet wieder hinter der Tür im Altarraum. Nach einer Weile kommt sie heraus, schließt die Tür ab und geht Richtung Ausgang.
Da begegnen sich unsere Blicke. Die Küsterin hält inne. Sie nickt mir freundlich zu. Ich lächle zurück. „Sie sind fremd hier“, es ist keine Frage … eher eine Feststellung. Ich nicke. „Ja, so ein Moment der Stille tut einfach gut“, sagt sie … wohl mehr zu sich selbst. Ich lächle sie zustimmend an. Sie sucht etwas in ihrer Tasche. „Warten Sie mal, ich hab‘ da was für Sie.“ Die Frau schaut wieder auf und schon drückt sie mir eine etwas dickere Kerze in die Hand. „Für mich?“, mit großen Augen blicke ich sie fragend an. „Ja genau, für Sie!“, lacht die Küsterin. „Wissen sie, unser Kerzenlieferant hat uns gerade wieder drei Kartons neue Kerzen gebracht, da stellt er mir immer eine besonders schöne Kerze dazu. Und heute – heute, ist die Kerze für Sie! Viel Freude damit!“, strahlt sie mich an und geht weiter.
Ich bin sprachlos. Völlig überrascht schaue ich auf die Kerze in meiner Hand und noch bevor ich mich richtig bedanken kann, ist die Frau auch schon am Ausgang. „Danke, vielen Dank“, höre ich mich stammeln. Doch die Tür fällt schon wieder ins Schloss und ich bin allein. Da sitze ich jetzt … ziemlich verdutzt mit der Kerze in der Hand. Nachdenklich sitze ich da … noch eine ganze Weile … still … in meinen Gedanken versunken, die Kerze in meiner Hand.
Erst nach einer langen Weile schaue ich mir das Geschenk genauer an. Auf einem leuchtendgelben Hintergrund steht geschrieben „Freude ist wie ein Stein, der ins Wasser geworfen wird und immer größere Kreise zieht“, lese ich und spüre, wie alles in mir vor Freude zu Strahlen beginnt. Die Kerze in der Hand gehe ich nach draußen, blinzle ins helle Sonnenlicht. Frohgestimmt gehe ich weiter. Die Freude im Herzen nehme ich mich … und … natürlich meine Kerze.
Ulrike Groß, November 2018
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