Texte und Gebete
Verkündigungsszene
Es ist eine dramatische Situation. Maria, die junge Frau in Nazaret, hat eine Begegnung mit dem Boten Gottes, der ihr einen Sohn verheißt: „Er wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden. Gott, der Herr, wird ihm den Thron seines Vaters David geben. Er wird über das Haus Jakob in Ewigkeit herrschen, und seine Herrschaft wird kein Ende haben“ (Lk 1,32-33). Ein ungeheuerlicher Vorgang: Gott wird Mensch, und diese junge Frau soll seine Mutter sein.
Die lukanische Kindheitsgeschichte verkündet die Menschwerdung Gottes, beschreibt aber auch zugleich den geistlichen Vorgang, wie Gott im Herzen eines Menschen Wohnung nehmen kann. Der Mensch Maria ist innerlich bereit, das Wort Gottes in sich aufzunehmen. Doch die Begegnung mit dem Engel wirft grundsätzliche Fragen auf. Maria nimmt gegenüber Gott ihre Freiheit wahr und fragt nach. Nach der Erklärung des Engels spricht Maria jene Worte, die Spiritualitätsgeschichte geschrieben haben: „Ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast“ (Vers 38). Maria ist nicht nur empfänglich für Gottes Wort, sie empfängt auch dieses Wort des ewigen Vaters. Das Wort wird buchstäblich Fleisch in ihr (vgl. Joh 1,14).
Was Paulus in Gal 2,20 wie in einem Schwur ausdrückt: „Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir“, ist in Maria nicht nur ein geistlicher Vorgang, sondern leibhaftige Wirklichkeit. Ihr Leib wird zu einem Heiligtum, in dem der Sohn Gottes ruht.
Ein Leben der Spurensuche nach Gottes Willen
In den biblischen Texten werden Fähigkeiten Marias deutlich, die sie für ihre Aufgabe als „Mutter Gottes“ in besonderer Weise qualifizieren:
· Maria lässt Ereignisse und Erfahrungen an sich herankommen, selbst so ungewöhnliche wie die Ankunft des Engels mit einer Botschaft. Sie ist offen und bereit, für sich auch unverständliche, ja sogar schwere und leidvolle Situationen zuzulassen. Nach der Darstellung Jesu im Tempel findet der greise Simeon dafür die prophetischen Worte: „Dir selbst aber wird ein Schwert durch die Seele dringen“ (Lk 2,35).
· Sie setzt sich mit der tieferen Bedeutung dessen, was ihr widerfährt, auseinander. Sie überlegt, was der Gruß des Engels zu bedeuten hat. Sie fragt nach, wie das Unfassbare der Menschwerdung Gottes durch eine Schwangerschaft ohne das Zutun eines Mannes geschehen soll. Später heißt es: „Maria aber bewahrte alles, was geschehen war, in ihrem Herzen und dachte darüber nach“ (Lk 2,19). Sie spürt dem nach, was Gott ihr sagen will.
· Über vielem, was mit ihrem Sohn geschieht, liegt ein Schleier. Doch als die treue „Magd des Herrn“ geht sie den Weg des Sohnes mit – bis unter das Kreuz. Sie hält sogar das mit ihm aus, was wie Scheitern aussieht.
· Ihre Offenheit und Bereitschaft, Gottes Spuren in ihrem Leben wahrzunehmen und darin seinen Willen anzunehmen, macht sie zum Prototyp, zum Urbild, zur Mutter aller Glaubenden. Sie ist die wichtige Spurenleserin in der Mitte der Zeit: „Als die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und dem Gesetz unterstellt…“ (Gal 4,4).
Fragen:
- Welche Eigenschaften Marias empfinde ich für den Glauben besonders wichtig?
- Wie kann ich mich Maria, die in besonderer Weise ihren Glauben lebte, annähern, damit etwas von ihrem Glauben auf mich überspringt?
- Gibt es in unserer Familie, Gemeinde oder Gemeinschaft eine Tradition, sich Maria in besonderer Weise anzuvertrauen?